Interessenkonflikte vermeiden

„Wir würden gerne einen Flyer entwickeln, um neue Mitglieder zu gewinnen. Dafür fehlt uns aber das Geld. Ein Unternehmen hat uns angeboten, den Flyer zu sponsern. Wenn dann aber deren Logo drauf wäre, würde dann nicht jeder denken, dass wir denen nach dem Mund reden? Glauben Außenstehende dann noch, dass bei uns alle Erfahrungen und Behandlungsmethoden willkommen sind?“

Ja, diese Sorge ist nicht unberechtigt. Denn selbst wenn im Flyer deutlich steht, dass der Text unabhängig erstellt wurde, bleibt die Frage offen, ob andere das glauben. Und Hand auf’s Herz: Würden Sie wirklich noch Kritik an einem Medikament üben, dessen Hersteller Ihnen einen Flyer gesponsort hat? Würden Sie weiterhin auch auf die Medikamente anderer Hersteller oder alternative Behandlungsmöglichkeiten hinweisen?

Die Zusammenarbeit zwischen Selbsthilfegruppen und Unternehmen kann zu Interessenkonflikten führen. Neben den primären Zielen der Selbsthilfegruppe (also ihre eigentlichen Anliegen: zum Beispiel gegenseitige Hilfeleistung, vertrauenswürdige Aufklärung oder Interessenvertretung in der Öffentlichkeit) gibt es dann auch sekundäre Ziele. Sekundäre Ziele können materieller Natur sein wie das Interesse an ausreichenden Geldmitteln oder aber immaterieller Natur wie der Wunsch, für die eigene Arbeit respektiert und als Expert*in anerkannt zu werden.

Interessenkonflikte werden dann zum Problem, wenn die sekundären Ziele so wichtig werden, dass die eigentlichen Anliegen der Selbsthilfegruppe in den Hintergrund geraten. Interessenkonflikte beeinflussen nicht zwangsläufig das Urteilsvermögen oder das Handeln, sie stellen aber ein Risiko dar.

Reziprozitätsregel

In allen menschlichen Gesellschaften gibt es die Erwartung, dass man sich für Gefälligkeiten zu revanchieren hat. Wenn uns jemand etwas Gutes tut – uns ein Geschenk macht oder uns einlädt – fühlen wir uns verpflichtet, diesen Gefallen zu erwidern. Dies wird als Reziprozitätsregel bezeichnet. Es ist eine tief in allen menschlichen Gesellschaften verankerte soziale Norm, deren Nicht-Befolgen erhebliche und bewusste Anstrengung erfordert und selbst dann nicht immer gelingt. Die Reziprozitätsregel wirkt bereits bei sehr kleinen (preiswerten) Gaben: Auch kleine Gaben veranlassen zu Gegengaben, die teils im Wert viel höher sind. Menschen fühlen sich in der Regel auch verpflichtet, angebotene Geschenke anzunehmen, sie abzulehnen gilt als unhöflich.

„Die industriellen Spendengelder und das Sponsoring für Öffentlichkeitsarbeit werden unter Umständen nicht mehr als Beeinflussung wahrgenommen. Wer solche Zuwendungen erhält, spricht sich nicht unbedingt für ein bestimmtes Präparat aus – sicher aber auch nicht dagegen.“ (Feyerabend / Görlitzer 2015)

Illusion der Unverletztlichkeit

Studien zeigen, dass Menschen die eigene Beeinflussbarkeit unterschätzen. Wir nehmen die Folgen von Interessenkonflikten bei uns selbst oft nicht so stark wahr, wie wir das bei anderen Personen in vergleichbaren Situationen tun. So halten sich Ärzt*innen, die Mittel von Pharmareferent*innen erhalten, selbst häufig für unbestechlich. Gleichzeitig gehen sie davon aus, dass ihre Kolleg*innen nicht so unbestechlich sind (Klemperer 2012).

Auskunft geben

Eine wesentliche Voraussetzung, um mit Interessenkonflikten angemessen umgehen zu können, ist die Herstellung von Transparenz. Auf internationaler Ebene müssen wissenschaftlich tätige Mediziner*innen über ihre Interessenkonflikte Auskunft erteilen, wenn sie Artikel bei Fachzeitschriften einreichen oder Kongressbeiträge anmelden.

Auch Selbsthilfevertreter*innen, die an Gremien der Patientenbeteiligung teilnehmen wie dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) oder bei Zulassungsausschüssen, müssen entsprechende Auskünfte erteilen.

„Interessenkonflikte entfalten ihre Wirkung auf das Urteilsvermögen weitgehend oder vollständig unbewusst […] In einer Situation, in der wir eine von mehreren möglichen Entscheidungen oder Schlussfolgerungen materiell, sozial oder intellektuell als persönlich vorteilhaft empfinden, nehmen wir Informationen, die zu dieser für uns vorteilhaften Entscheidung führen, stärker wahr, prüfen sie weniger streng, akzeptieren sie schneller und geben ihnen mehr Gewicht.“ (Lieb u.a. 2011)

Interessenkonflikte
Abhängigkeiten und damit Interessenkonflikte können durch Sponsoring und Spenden entstehen, aber auch durch Fördermitgliedschaften, Beratungstätigkeiten, Vortragshonorare oder Reisekostenübernahme. Aber auch das Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung oder Erfolg kann zu Interessenkonflikten führen.
Ein Interessenkonflikt ist umso ernster zu nehmen

  • je größer die Wahrscheinlichkeit ist, dass er einen unangemessenen Einluß hat
  • je größer der Schaden ist, den dieser Einfluss haben kann. (Strech / Koch 2011)

Hinweis

Die BAG Selbsthilfe – Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V. hat gemeinsam mit dem Paritätischen Gesamtverband verschiedene Musterverträge sowie Muster für die Selbstauskunft zu Interessenkonflikten entwickelt, an denen sich Gruppen orientieren können. Auch bei der Beantragung von Fördermitteln bei den Krankenkassen ist eine Erklärung zur Wahrung von Neutralität und Unabhängigkeit abzugeben.

Wollen Sie mehr wissen?
Vertiefende Informationen finden Sie im Themenbereich „Autonomie der Selbsthilfe“ auf unserem Wissensportal nakos.de